„Wie inszenieren historische Lernorte Geschichte?“
Diese Frage beschäftigt zunächst vor allem diejenigen, die Ausstellungen an historischen Lernorten planen – sie ist aber auch für diejenigen von Interesse, die sie besuchen. Denn die Auseinandersetzung mit den Inszenierungen der Ausstellung eines historischen Lernortes kann verdeutlichen, dass die dort präsentierte Geschichte das Ergebnis von Aushandlungs- und Konstruktionsprozessen ist. Das Diskutieren eigener Ansätze zur Überarbeitung der Ausstellung durch die Lernenden fördert zudem die Fähigkeiten zur Re- und Dekonstruktion geschichtskultureller Darstellungen und gewinnt als Ressource zur partizipativen Entwicklung von Ausstellungen zunehmend an geschichtskultureller Bedeutung.
Lernziele
- Inszenierungen in Ausstellungen historischer Lernorte erkennen und beschreiben
- Wirkungen von Inszenierungen in konkreten Ausstellungen analysieren und beurteilen
- Alternative Inszenierungen diskutieren
Didaktisch-methodische Überlegungen
Das Verstehen und partizipative Entwickeln von Inszenierungen in Ausstellungen historischer Lernorte ist ein wichtiger Bestandteil geschichtskultureller Kompetenz. Inszenierung bezeichnet dabei die Art und Weise, wie Geschichte mit den gestalterischen Mitteln einer Ausstellung präsentiert wird. Dies können Quellen und Objekt(-arrangements) sein, die mit Hilfe von Ausstellungstexten und/oder audiovisuellen Medien gedeutet werden. Es kann aber auch auf Licht oder Farben zurückgegriffen werden, um bei den Rezipient:innen assoziative, emotionale Zugänge zum Ausstellungsthema zu eröffnen. Ein weiteres gängiges Gestaltungsmittel ist z.B. die Arbeit mit Sichtachsen in den Ausstellungsräumen, um visuelle Zusammenhänge zwischen den Teilthemen einer Ausstellung herzustellen. Jede Form der Inszenierung stellt also eine Deutung von Geschichte dar. Was innerhalb dieser Deutung aufgegriffen wird und was nicht, hängt von der Absicht des historischen Lernortes ab.
Die Auseinandersetzung mit Inszenierungen in den Ausstellungen historischer Lernorte erweist sich als besondere Chance für das historische Lernen. Für Lernende dürfte es gleichwohl ungewohnt sein, Ausstellungen nicht allein auf inhaltlicher Ebene zu rezipieren, sondern auch im Hinblick auf das Zusammenspiel der präsentierten Themen und der gewählten Inszenierungen zu hinterfragen. In der Vorbereitung des historischen Lernortbesuches ist deshalb das Sammeln möglicher Inszenierungen in einer historischen Ausstellung sowie die Hypothesenbildung hinsichtlich ihrer Funktionen sinnvoll. Im Zentrum des daran anschließenden Besuches des historischen Lernortes steht die fragegeleitete, exemplarische Auseinandersetzung mit und Dokumentation von Inszenierungen. Diese sollen wiederum in der Nachbereitung im Hinblick auf ihre Funktionen für das am historischen Lernort präsentierte Deutungsangebot reflektiert werden.
Literaturhinweise
- Eyleen Grinda/Susann Lewerenz: „Perspektiven öffnen – Geschichten teilen“. Ein prozessorientiertes und partizipatives Projekt der KZ-Gedenkstätte Neuengamme zu multiperspektivischem Erinnern in der Migrationsgesellschaft. In: Gedenkstättenrundbrief 209, 03/2023, S. 23-30.
- Karl-Heinrich Pohl: Wann ist ein Museum „historisch korrekt“? „Offenes Geschichtsbild“, Kontroversität, Multiperspektivität und „Überwältigungsverbot“ als Grundprinzipien musealer Geschichtspräsentationen. In: Olaf Hartung (Hrsg.): Museum und Geschichtskultur. Ästhetik – Politik – Wissenschaft. Bielefeld 2006, S. 273–286.
- Waltraud Schreiber: Gedenkstätten und historische Ausstellungen lesen (lernen). Das Beispiel Gedenkstätte Berliner Mauer. In: Tobias Hirschmüller/Markus Raasch (Hrsg.): Von Freiheit, Solidarität und Subsidiarität – Staat und Gesellschaft der Moderne in Theorie und Praxis. Festschrift für Karsten Ruppert zum 65. Geburtstag. Berlin 2013, S. 13–38.
Verlaufsplan
Die Vorbereitung des Lernortbesuchs erfolgt in zwei Schritten: Erstens sammeln die Lernenden im Zuge einer Auseinandersetzung mit Fotos aus der Ausstellung des zu besuchenden historischen Lernortes verschiedene Inszenierungen.
Hieran sollte eine Thematisierung des Begriffs „Inszenierungen“ durch die Lehrkraft erfolgen, der an dieser Stelle eingeführt wird. Im zweiten Schritt knüpft dann die vertiefte Auseinandersetzung mit Inszenierungen in Form einer Hypothesenbildung an, um die Lernenden dafür zu sensibilisieren, dass diesen bestimmte Wirkungsabsichten zugrunde liegen. So ist eine leere Vitrine in einer Ausstellung beispielsweise in der Regel keine Nachlässigkeit der Kurator:innen, sondern soll auf die Quellenlage zum Ausstellungsthema und mögliche Überlieferungslücken hinweisen.
Bei der Durchführung des Lernortbesuchs werden mit Hilfe einer fotografischen Spurensuche die gewählten Inszenierungen am konkreten historischen Lernort dokumentiert. Als Hilfestellungen dienen Leitfragen, die die Lernenden zielgerichtet bei der Auswahl der Inszenierung unterstützen sollen.
Die Nachbereitung des Lernortbesuches besteht aus drei Arbeitsschritten: Zur Sichtung und Diskussion der Ausstellungsdokumentation werden die in der Ausstellung angefertigten Fotos mittels eines Gallery Walks präsentiert. Der zweite Schritt beinhaltet eine Gruppenarbeit zur Überarbeitung der Ausstellung.
In einem dritten Schritt erfolgt die abschließende Reflexion des bisherigen Arbeitsprozesses anhand einer schriftlichen Stellungnahme zum Einfluss von Inszenierungen auf die am historischen Lernort angebotene Deutung.